Justus Möser

Das Glück der Bettler

 

 

Neulich sah ich einen Handwerksmann mit seiner Frauen bereits um 4 Uhr des Morgens in seiner Werkstätte an der Arbeit. Der Mann schien mir munter und zufrieden zu seyn, die Frau aber mit einer gewissen ängstlichen Eilfertigkeit zu spinnen. Auf eine kleine Warnung: sie würde sich auf diese Weise überarbeiten: antwortete sie mit seufzen: Ach ich habe acht lebendige Kinder. Und in dem Augenblick traten die vier ältesten schon munter herein um zu beten und zu arbeiten. Der Anblick war überaus rührend; und der Mann erzählte mir mit einem anständigen Stolze, wie sauer er es sich werden liesse, als ein ehrlicher Mann mit den Seinigen durch die Welt zu kommen; und wie sichtbar Gott seinen Fleiß und Ordnung segnete. Wir haben, setzt er hinzu, im Anfange oft Wasser und Brod gegessen; waren aber gesund und freudig dabey; bis uns endlich GOtt mit Kindern segnete, und mein täglicher Verdienst mit ihnen zunahm. Sauer ist es mir geworden, schloß er; Blutsauer! aber ich habe Brod, und bin vergnügt.

Ich verglich hiemit eine Scene, die mir einmal zu Londen in einem Speisekeller, im Kirchspiele St. Giles aufgestossen ist. Herr Schuter, ein berühmter Acteur auf dem Schauplatze in Covent-Garten, welcher damals eben die niedrigen Classen der Menschen studirte, um sich in der komischen Mahlerey fest zu setzen, und eine völlige Kenntniß vom high Live below Stairs zu erhalten, führte mich dahin. Die Magd, welche uns empfieng, setzte geschwind die Leiter an , worauf wir herunter stiegen, und zog solche so gleich wieder herauf, damit wir ihr ohne Bezahlung nicht entlaufen möchten. Im Keller fanden wir zehn saubere Tische, woran Messer und Gabel in langen Ketten hiengen. Man setzte uns eine gute Rindfleisch Suppe; etwa vier Loth Rindfleisch mit Senf; einen Erbsen-Pudding mit etwa 6 Loth Speck, zwene Stück gutes Brod und 2 Gläser Bier vor; und vor der Mahlzeit forderte die Wäscherin unser Hemd, um es während derselben zu waschen und zu trocknen; alles vor 2 ½ Pence oder 16 Pfennig unser Münze, mit Einschluß der Wäsche. Doch diese Beschreibung im vorüber gehen. Am Sonntag wird kein Hemd gewaschen; und dafür ½ Pfund gebratenes Rindfleisch mit Kartoffeln zur Mahlzeit aufgesetzt.

In diesem Keller fanden wir uns in Gesellschaft der Gassenbettler. Da wir uns vorher eine dazu schickliche Kleidung vom Trödelmarkte gemiethet hatten; so wurden wir bald mit ihnen vertraut; und man that uns leicht die Ehre zu glauben, daß wir Diebe oder Bettler aus einem andern Kirchspiel wären. Allein wie sehr erstaunten wir nicht, als wir die angenehme und unbekümmerte Lebensart dieser Bettler erblickten.

Erstlich zählte ein jeder seinen Gewinnst vom Tage; und besonders liessen sich die Blinden von zweyen andern ihre Einnahme öffentlich und auf ihre Ehre zehlen, damit sie von ihren Führerinnen nicht betrogen werden möchten. Es war keiner unter ihnen, der nicht doppelt und dreymal so viel erbettelt hatte, als der fleißigste Handwerksmann in einem Tage verdienen kann. Nachdem das Finanzwesen in Ordnung gebracht, und die Mahlzeit vorüber war, ließ sich ein jeder nach Gewohnheit, einen Bumper mit starken Porterbier geben, welcher auf die Gesundheit aller wohlthätigen Seelen ausgeleeret wurde. Hierauf spielten die Blinden zum Tanz; und es war ein Vergnügen zu sehen, wie geschickt Bettler und Bettlerinnen, auch so gar einige die des Tages über lahm gewesen waren, mit einander tanzten. Die kräftigsten Gassenlieder folgten auf diese Bewegung; bis endlich der erwartete Durst erfolgte. Dann ward von gewärmten Porter und Rum ein starker Ponsch gemacht, die Zeitung dabey gelesen, und der Abend bis drey Uhr des Morgens mit trinken und politischen Urtheilen über das Ministerium auf das vergnügteste zugebracht.

Ueberhaupt aber hat der Bettelstand sehr viel reitzendes. Unser Vergnügen wird durch nichts besser befördert als durch die Menge von Bedürfnissen. Wer viel durstet, hungert und frieret, hat unendlich mehr Vergnügen an Speise, Trank und Wärme, als einer der alles im Ueberfluß hat. Was ist ein König, der nie zum hungern oder dürsten kömmt, und oft zwanzig große und kleine Minister gebraucht, um eine einzige neue Kitzelung für ihn auszufinden, gegen einen solchen Bettler, der sechs Stunden des Tages Frost, Regen, Durst und Hunger ausgehalten; und damit alle seine Bedürfnisse zum höchsten gereitzet hat; jezt aber sich bey einem guten Feuer niedersetzt, sein erbetteltes Geld überzählt, vom stärksten und besten genießt, und das Vergnügen hat, seine Wollust verstohlner weise zu sättigen? Er schläft ruhig und unbesorgt; bezahlt keine Auflagen; thut keine Dienste; lebt ungesucht, ungefragt, unbeneidet und unverfolgt; erhält und beantwortet keine Complimente; bracht täglich nur eine einzige Lüge; erröthet bey keinem Loche im Strumpfe, kratzt sich ungescheut wo es ihm juckt; nimmt sich ein Weib und scheidet sich davon unentgeltlich und ohne Proceß; zeugt Kinder ohne ängstliche Rechnung, wie er sie versorgen will; wohnt und reiset sicher vor Diebe, findet jede Herberge bequem, und überall Brod; leidet nichts im Kriege oder von betriegerischen Freunden; trotzt dem größten Herrn, und ist der ganzen Welt Bürger. Alles was ihm dem Anschein nach fehlt, ist die Delicatesse, oder derjenige zärtliche Eckel, womit wir alles, was nicht gut aussieht, verschmähen. Allein, wer ist im Grunde der Glücklichste; der Mann, der ein Stück Brod, wenn es gleich sandig ist, vergnügt herunter schlucken kann; oder der Zärtling, der in allen Herbergen hungern muß, weil er seinen Mundkoch nicht bey sich hat? Und wie sehr erweitert derjenige nicht die Sphäre seines Vergnügens, der sich jedes Brod wohl schmecken läßt?

Wie beschwerlich ist dagegen der Zustand des fleißigen Arbeiters, der sich von dem Morgen bis zum Abend quälet, sich und seine Familie von eignem Schweiße zu ernähren? Alle öffentliche Lasten fallen auf ihn. Bey jedem Ueberfall feindlicher Partheyen muß er zittern. Um sich in dem nöthigen Ansehen und Credit zu erhalten, muß er oft Wasser und Brod essen, seine Nächte mit ängstlicher Sorge zubringen, und eine heimliche Thräne nach der andern vergießen ..... Wenn ich solchergestalt den ehrlichen fleißigen Arbeiter mit dem Bettler vergleiche: so muß ich gestehen, daß es eine überaus starke Versuchung sey lieber zu betteln als zu arbeiten. Das einzige was den Bettlern bishero gefehlt, ist dieses, daß ihre Nahrung unrühmlich gewesen, und diesen Fehler will ich nechstens abhelfen.