... wird mit dem Tode bestraft (1935)
 
 

Textauszug

Otto wiederholte nach einer langen Pause bitter: „Es ist sinnlos! So! Es ist sinnlos! Welchen Sinn gibst denn du der Welt? Was hast du dem entegegenzusetzen, das wir erarbeiten und das du sinnlos nennst? Du bist ein Schriftsteller, und als solcher hast du eine soziale Funktion. Soziale Funktion oder Moral, Mensch, jetzt kannst du nicht ausweichen: wenn die Welt in Trümmer geht, darfst du nicht die Zertrümmerung fotografieren – wenn das Haus brennt, darfst du nicht die Wände bemalen. Du mußt handeln, moralisch handeln. Du brauchst, weiß Gott, kein Kommunist zu sein, um mit uns zu stehen – du brauchst noch nicht einmal ein Schriftsteller zu sein – es genügt, wenn du ein anständiger Mensch bist: Du hast gegen die Unmoral, die Barbarei, die mörderische Dummheit zu kämpfen. Entweder – oder. Hier oder dort. Es gibt kein Mittelding mehr – – –„
Ich wußte noch nicht, wie recht er hatte. Erst als man mich im Konzentrationslager zerschlagen hatte, erst als ich sah: wie sie Bücher verbrannten, Frauen zu Tode schlugen, Kinder marterten, –
und die deutsche Regierung alles wußte und alles ableugnete,
– erst als ich merkte, daß die entsetzlichste sittliche Verkommenheit mit einem Höchstmaß von Zynismus als neudeutsche Moral gepflegt wurde, –
und das Ausland alles wußte und trotzdem mit dieser Regierung verhandelte, –
erst als ich begriff, und mir bewiesen wurde, daß dies Deutschland nur noch in Blut und Tränen ertränkt werden konnte, um neu zu erstehen, wie es einst war, – –
da verstand ich Otto, meinen Freund, der wußte, daß sie ihn ermorden würden und der nicht floh. Diesem Mann, diesem Freund, (der nicht in meiner Phantasie geboren wurde, sondern in der Wirklichkeit lebte, litt und starb), – diesem Menschen Otto gebe ich heute recht.
Es ist nicht zu spät...
Damals aber wußte ich noch nicht, was ich heute weiß. Ich hatte noch nicht gelitten...
Damals wußte ich noch nicht, daß es Entscheidungen gibt, die nichts zu tun haben mit politischen Parteien, sondern mit Moral. Und weil ich, und Millionen, es damals noch nicht wußten, – konnten die Barbaren siegen.
Jetzt wissen wir es. (S. 112–114)
 
 

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