Die von der Existenz des Buches begeisterten Rezensionen in der deutschen
Exilpresse richten jedoch auch scharfe Kritik an Liepmann wegen angeblich
falscher Darstellung von Tatsachen, so z.B. W.P. im sozialdemokratischen
Volksrecht (Zürich)
oder J.S. in Der öffentliche
Dienst (Zürich). Geschuldet sind diese Kritikpunkte vor allem
Liepmanns im Text wiederholt vertretenen Meinung, die Führer der Arbeiterorganisationen,
speziell der SPD und der Gewerkschaften, hätten zu zögerlich
auf das „Dritte Reich“ reagiert oder gar mit den neuen Machthabern paktiert.
Liepmann wird dabei durchweg dem kommunistischen Widerstand zugeordnet,
so von Karl Rothe im Sozialdemokrat
(Prag). Auch das Neue Wiener Tageblatt
fordert wie andere eine „unbefangene und unvoreingenommene Geschichtsdarstellung“.
Auch Arthur Koestler bemängelt in Das
Neue Tagebuch ein „an den Tatsachen herumpfuschen“, wertet den
Text aber als „bleibendes Dokument“, A. Friedrich in Sozialistische
Warte schließt sich diesem Urteil an.
Auch die wissenschaftliche Literatur ist zwar überwiegend positiv,
äußert jedoch auch erhebliche Einwände, wobei diese Argumentationen
einem geschichtlichen Wissen post festum verpflichtet sind. So bemängelt
Gisela Berglund den Optimismus
Liepmanns für einen Erfolg der Widerstandaktivitäten. Auch Hans-Albert
Walter sieht in seinem Nachwort
zur Neuausgabe des Textes 1986
vor allem die Schwächen im propagandistischen Befürworten der
KP-Widerstandaktivitäten; Walter glaubt jedoch, einen auch dem Autor
Liepmann nicht bewußten Subtext zu erkennen: „Weil sich aber schwerlich
jemand für eine verlorene Sache mobilisieren und begeistern läßt,
konnte es in der Erzählung nicht genug Optimismus, nicht genug kühnes
Handeln und Heldentum geben.“ Der Widerspruch zwischen Liepmanns Heroisierung
des Widerstandes und der Erfolglosigkeit der geschilderten Aktivitäten
eröffne aber den Subtext, der eine „Ambivalenz des Buches“ zur Folge
habe.