Textauszug
Er sagte sich: Ich bin ein Kind; ich müßte eigentlich lächeln
und fröhlich und unschuldig und ein wenig ein Lausejunge sein und
dumme Streiche machen; aber nun hat mir Gott diese Zeit beschert, die ich
mit mir herumtrage wie andere Leute einen Buckel oder ein kürzeres
Bein. Ich stehe nun hier und bin ein Dieb und ein zwiefach Verlorener durch
ein Bordell und den kleinen Verrat eines Mädchens. Ich habe viele
Romane gelesen von Kindern und ihren Müttern, von Sonne und Birkenwäldern,
aber ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Freund gehabt, und das
ist kein Vorwurf, den ich mir machen kann. Ich bin zu allen gekommen,
und ich habe gesagt: Seht, hier bin ich; ich liebe euch, und ich bin jung
und weiß noch von nichts, lehrt mich, liebt mich, nehmt mich hin!
Ich will nichts als das Gute! Ich sehne mich nach nichts wie nach Verstehen
und nach milder Würde!
Man hat mir gesagt: Du bist ein Kind der Kriegszeit, du kannst nicht
verlangen, daß du es besser hast als die anderen Kinder, die früher
denken mußten als ihre Eltern; warum willst du es besser haben? Deine
Eltern sind ja auch am Krieg gestorben. Du hast als kleines Kind keine
liebevollen Tanten und sonnigen Gassen und Weinlaub und See und wilde Spiele
und stille Abende gesehen, nein, deine erwachenden Augen sahen nur Jubeln
über zigtausend Tote, du lerntest lesen und lasest täglich
mit dem Essen den Bericht über Stellungskämpfe, Sturmangriffe,
Gaskrieg, Tote, Erwürgte, Erstickte und man jubelte; du hast nichts
zu fressen bekommen als Not und Steckrüben. Was willst du eigentlich?
(S. 7879)
Ich möchte ein Dichter nur aus dem Grunde werden, weil ich, da
ich Dir schreibe, und wenn immer ich schreibe, die Dinge, die ich sehe,
in diese krausen, schwarzen Buchstaben versenken kann, so daß ich
endlich so ruhig werde, wie wenn ich zu meiner Mutter rede.
Dichter wird man sonst aus Ekel und Sehnsucht, es ist ein Beruf wie
der eines Schlachters oder der eines Pfarrers, nur ist die Vorbeildung
länger und intensiver, denn ein Dichter muß lange in die Lehre
gehen und muß alles in sich hineinerleben und rein bleiben.
Was heißt dies Wort: Dichter! Es ist ein häßliches
Wort, und es steht in keinem Personalausweis. Aber mit diesem Wort kennst
Du nun das, was mein Beruf sein möchte und nach welchem, nachdem ich
ihn erkannt und formuliert habe, ich mich sehne wie ein Mädchen nach
ihrem ersten Geliebten. Ich sehne mich danach zu schreiben, nichts als
immer, immer zu schreiben, was ich denke, was ich träume, dann,
dann werde ich ruhig sein. (S. 191192)