Die Hilflosen
 

Textauszug

„Ja, was wollte ich?“ sagte Franz nachdenklich, „ich wollte Ihnen nämlich etwas sagen. Sie sind einer der wenigen, ich will ganz offen sein, der Einzige, der mit mir über ein Problem gesprochen hat, von dessen Vorhandensein ich lebe. Man liebt ja in Deutschland – verzeihen Sie – sonst nur über Probleme zu sprechen, die einen nichts angehen. Von den Problemen, die einen angehen, redet man nicht, die gelten als Phrasen. Entschuldigen Sie!“
„Ja, aber –„ begann der Untersuchungsrichter, doch Fritz unterbrach ihn:
„– Wir haben damals etwas Wichtiges besprochen, Sie werden sich sicher erinnern. Mir ist zu diesem Thema etwas eingefallen.“
„Zu was?“
Heinemann machte ein dummes Gesicht.
„Ja, wissen Sie denn nicht mehr, über was wir gesprochen haben?“
Der Richter lachte.
„Aber mein liber Freund! Das soll ich jetzt noch wissen? Was war es denn?“
Fritz schwieg, schmerzlich betroffen, dann sagte er: „Sehen Sie, Herr Untersuchungsrichter, das ist auch eine so schreckliche Eigenschaft der Deutschen, sie sprechen über die wichtigsten Dinge, falls man sie darauf bringt; und sie sprechen und sprechen, und nachher haben sie alles vergessen. Man muß doch leben, wie man spricht, wenn man spricht, nicht wahr?“
„Erlauben Sie mal“, wollte Heinemann protestieren, da trat der Schreiber ein, flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Richter stand sofort, etwas zu eilig auf.
„Ja, Sie sind also frei, Herr Semjowsky; es liegt sonst nichts gegen Sie vor.“
Fritz erhob sich ebenfalls.
„Was ich Ihnen sagen wollte, ist: Herr Untersuchungsrichter, es gibt nur eine einzige Art, anständig und glücklich zu sein.“
„Sehr interessant“, unterbrach ihn der kleine Herr, schon gar nicht mehr recht zuhörend und ordnete im Stehen, ohne aufzublicken, einige Akten. „Und die Art wäre?“
„Verbrecher zu sein, Herr Untersuchungsrichter!“
„Was?!“
Der kleine Herr hörte auf zu kramen und blickte erschrocken auf.
„Warum wollen Sie wissen? Weil nur Verbrecher büßen dürfen, was sie andere leiden machen!“
Er drehte sich um und ging hinaus. Der Richter blieb enen Augenblick ganz verwirrt stehen. Endlich erhob er sich.
„So ein Unsinn“, sagte er ein paarmal, „so ein Unsinn!“ (S.250–251)
 
 

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