Kontext
Mit seinem zweiten Roman Die Hilflosen gelang Liepmann der Durchbruch
als Schriftsteller, befördert nicht zuletzt durch die noch vor der
Publikation des Textes im Frankfurter Rütten & Loening-Verlag
erfolgende Verleihung eines Sonderpreises des renomierten Harper-Literaturpreises
für den besten deutschen Roman.
Der Text entstand vermutlich im Jahr 1929; die Ansiedlung des ersten
Teils des Romans hat Vermutungen befördert, Liepmann habe in der zweiten
Hälfte des Jahres 1929 eine Reise nach Moskau unternommen. Siegmund
Bing verweist in seiner Rezension des Romans auf eine „frühere Fassung“,
auf die Müller-Salget unter dem Titel ...nur Verbrecher sind gute
Menschen verweist. Ein Auszug aus dieser Fassung erschien nach der
Publikation des Buches unter dem Titel Ein Mörder bekommt Zahnschmerzen
in den Blättern der Hamburger Kammerspielen, Der Freihafen.
Ob es darüber hinaus beispielsweise einen Vorabdruck des Romans oder
einen Druck dieser Fassung gegeben hat, ist bislang nicht geklärt.
In Die Hilflosen sind autobiographische Parallelen wie noch
in Nächte eines alten Kindes
nicht mehr vorhanden. Liepmann konzentriert sich in beiden Teilen auf die
Problematik des Unschuldig-schuldig-werdens, der Unausweichlichkeit der
Schuld und der von den Hauptfiguren angestrebten Sühne, mit deutlichen
Anklängen an den Oidipus-Mythos. Sowohl der Gutsherr als auch Fjodor/Fritz
sind sich ihrer jeweiligen Schuld bewußt, finden aber keine Möglichkeit,
sich zu ihr zu bekennen, und suchen den Ausweg schließlich in Verbrechen,
die eine Sühne provozieren müssen.
Darüber hinaus steht im ersten Teil deutlich die soziale und politische
Lage der russischen Bauern im vorrevolutionären Russland im Mittelpunkt
der Darstellung sowie die Thematik des Widerstandes. Die individuelle Problematik
wird so in gewisser Hinsicht implizit auch in den politischen Bereich übertragen.
Im zweiten Teil folgt parallel hierzu, allerdings ohne Hinweis auf eine
Revolution, die ausführliche Beschreibung des großstädtischen
Subproletariats im Berlin und Hamburg der frühen 20er Jahre.