Textauszug
„Nun ja,“ sagt Herr Laumann, „vor mir brauchen Sie sich doch nicht anzustrengen;
ich kenne doch Sie und euch alle. Ihr seid euch ja so ähnlich. Ich
verurteile euch gar nicht, wenn ich sage, daß Ihr sehr in den Tag
hinein lebt, weil Ihr diese wunderbare Anpassungsfähigkeit besitzt,
die man allerdings früher als Charakterlosigkeit bezeichnet hätte.“
„Freuen Sie sich doch, Herr Laumann,“ sagt Erich, „die Mediokrität
ergreift unsere Jugend, ein schönes Zeichen des Fortschritts. Früher
hatte man Sehnsucht nach dem Individuum, besaß Mut zur Persönlichkeit;
heute ergreift die Masse die Möglichkeit zu Uniformierungen mit Begeisterung.
Große Zeitungen propagieren Kleiderschnitte, und diese Unifmorkleider
bilden den Gipfel des Geschmacks.“
„Ach was!“ schreit Herr Laumann, „Ihr könnt alles, weil euch nichts
unmöglich gemacht wird, weil Ihr laut seid und geschickt. Ihr seid
Kinder, vielleicht unbefangen, aber bestimmt so grausam und so unbeschwert
–“
„So –“ sagt Erich, „so also sehen Sie uns: Sie haben Angst vor unserer
Unbefangenheit; und zugleich haben Sie Angst, daß unsere Unbefangenheit
weicht, weil Sie nicht wissen, was dann kommt.“ (S. 263–264)
Es wurde kühl. Erich fröstelte. Er ging durch Vorortstraßen,
in denen die Kinder spielten und Wäsche über eisernen Balkonen
hing. – Ein Mann sagte zu einem Mädchen: „– und so habe ich jahrelang
gespart, ich wollte nämlich ein Klavier –.“
Ein Klavier begann zu spielen, ein elektrisches; es rasselte, machte
Lärm. – Erich sah, einige Stufen führten abwärts in eine
Wirtschaft, ein dunkles Loch eines großen Hauses. – [...]
Erich sah sich die steilen Mietskasernen genau an. Unzählige Fenster,
Balkons und Geschrei, baumelnde nasse Wäsche, wehende Gardinen. Aus
jedem dieser tausend gleichen Fenster sieht ein Mensch, der glaubt, für
ihn lebe alles, er sei Mittelpunkt. Komisch! – Erich lachte laut. – Ein
Taxicauffeur bremste, um sich ihn anzusehen. Erich wandte sich nach ihm
um und sagte zu Liepmann: „Armut, Gewalt, Häßlichkeit.“
„Ja,“ sagte Liepmann, „das ist es.“ – Jemand schrie: „Taxi!“ – Liepmann
öffnete die Tür und verstummte. (S. 324–325)