Justus Möser

Seinem Lieben Bruder Itel Ludewig Möser ...

 

 

Seinem

Lieben Bruder

Itel Ludewig

Möser

Welcher

den 27. Jan. 1745.

im 19ten Jahr seines Alters

sanft und selig entschlief

Zum zärtlichen und betrübten

Angedenken

hat

dieses aufgesetzet

dessen hinterlassener empfindlichst

gerührter Bruder

Justus Möser

 

 

Aminta di Tasso.

 

Jo ho si pieno il petto di pietate

E si pieno d’horror, che non rimiro

Ne odo alcuna cosa, ond’io mi volga

La qual non mi spaventi, e non m’aflanni.

 

Meine Wehmuth will umsonst ein ihr gleichend Lied entwerfen/

Sie betäubt mich durch sich selbst/ und durchglüet Herz und Nerven/

Die verwäyßte Muse zittert/ klagt und ringt die welke Hand/

Da der Tod in meinem Bruder ihr den besten Freund entwand.

Diesmal kan kein Dichtertrost dem beklemten Herzen lüften/

Diesmal kan kein Dichtertrost ein zweydeutig Denkmal stiften/

Diesmal schweig ich; fließt ihr Zähren! fließt! mein Bruder ist nicht mehr.

Ach mein Bruder! ... doch die Muse ächzt noch wohl sein Seufzen her.

Ja das letzt erseufzte Ach! das mit Röcheln und mit Stamlen

Aus den kalten Lippen flos/ heißt der Liebe Kräfte samlen/

Und will mit verwandten Blicken von der Treue dieses Lied/

Das nicht dir/ mein trauter Bruder! nein/ dem Schmerzen ähnlich sieht.

Folgt ich einzig meinem Sinn/ würd ich mit der Allmacht rechten/

Und der Jugend frühen Fall gegen ihren Spruch verfechten.

Doch des Schmerzens klügelnd Richten/ stutzt/ begreift sich/ seufzt und schweigt.

Wann die Vorsicht mir von weiten ihre dunkle Tiefe zeigt.

Dunkle Tiefe! die kein Glas unsern kurzen Augen lehret/

Die der Hochmuthsvolle Witz mit beschämter Ohnmacht ehret/

Dein geheiligtes Geheimnis ist zwar furchtbar doch auch schön/

Es läßt uns das Wohl der Zukunft aber auch ihr Weh nicht sehn.

Würde nicht der feige Mensch sich mit träger Schwermuth plagen/

Und zum Thron des größten Reichs ein bekümmert Herze tragen/

Wüste schon sein kühner Vorwitz/ daß des Glückes Schmeicheley

Und der erste Tag der Krönung seines Lebens letzter sey?

Würde wohl das sichre Lamm so vergnügt und ruhig weiden/

Hätt es menschliche Vernunft und ein Bild von seinem Leiden/

Das der mörderische Hunger ihm des andern Morgens droht?

Aber seine dumme Unschuld küßt das Werkzeug seiner Noth.

Glückliche Unwissenheit hell und trüber Künftigkeiten

Selbsterhalterin der Welt/ Schleisserin betrübter Zeiten!

Du erhälst die beste Ordnung einer auserwehlten Welt/

Die durch dich auch noch den Vorzug der vergnügtesten behält.

Zwar der ungelehrge Schmerz scheinet hier sich selbst zu schmeicheln/

Und dem schwach erwiesnen Satz seinen Beyfall vorzuheucheln/

Da der Eyfer frevelnd seufzet: Was hilfft dir die beste Welt/

Ach mein Bruder! wenn dein Schiffgen an der ersten Bank zerschellt?

Hilfts dir etwas jetzt den Trost aller Weisen anzuhören/

Daß die Fehler in den Theilen doch das Wohl des Ganzen mehren/

Daß in allen Möglichkeiten stets dein Zustand einerley/

Das ist/ immer jung gestorben/ und dennoch der beste sey?

Schweige Weisheit/ laß den Satz/ laß den Satz der Schrift verfechten;

Die entrafft dem Sündenfall den erwähleten Gerechten:

Aber warum wird der Sünder nicht vor der Geburt gerafft/

So würd er gewis und sicher vor dem Falle weggeschafft.

Soll die kleinste Kreatur seines Schöpfers Ruhm erzählen/

Warum soll mein Bruder denn diesen Endzweck nur verfehlen?

Reuts dem Schöpfer? oder aber hat er sich etwa bedacht/

Und ihn ohne Grund und Absicht aus dem Nichts hervorgebracht?

War er fromm/ wo bleibt denn doch das verheißne lange Leben?

War ers nicht/ wo die Gedult die zur Busse Zeit gegeben?

Schweigt ihr Zweifler! dies ist ewig: GOtt ist doch der beste Mann/

Der auch über unser Denken noch gar vieles wirken kan.

Aller Weisen beste Kunst/ da man Satz auf Sätze bauet/

Ueberführt uns daß der Witz noch nicht in das Ganze schauet.

Und so lang wir noch nicht lernen GOtt von unsern GOtt zu seyn/

Laß ich mich auf alle Zweifel mit bescheidner Demuth ein.

Gnug mein Bruder du bist tod; deiner tiefen Augen Blicke

Hohlen mir in meiner Brust tausendmal dein Bild zurücke:

Du entdeckst nun frey vom Leibe/ das Geheimnis jener Welt/

Deren Zustand uns noch alle in der grösten Hofnung hält.

Das Geheimnis jener Welt und die Ewigkeit der Sele/

Bleibt der zweifelnden Vernunft stets ein unverzehrlich Oele:

Risse eines Klüglings Zweifel diesen frohen Eckstein ein/

O wie würde nicht die Ordnung dieser Welt verwirret seyn?

Würde nicht der freche Mensch alles in einander mengen/

Und verwegen ungescheut aller Welten Stand verdrängen?

Wär es gleichwohl nicht erwiesen daß die Sele ewig sey/

Fiel ich doch dem süssen Irthum lieber als der Warheit bey.

Keiner als wer also lebt/ wie die Thoren auf der Erden/

Wünscht denselben nach den Tod im Verwesen gleich zu werden.

Dichtet nur daß unsre Sele ein vergänglich Stäubgen sey/

Legt ihr Schlummer/ oder Ohnmacht/ oder ein Vergessen bey/

Sagt sie sey das Meisterstück unter künstlichen Machinen;

Schrift und Klugheit müssen hier zu der Warheit Rettung dienen.

Es ist warlich viel gewaget mit der klugen Zweifeley/

Wenn man nur allein bedenket/ dass die Zukunft möglich sey.

Du mein Bruder bist nunmher endlich glücklich überzeuget

Von der Warheit/ die noch hier vieler Weisen Schlüsse beuget;

Denn die körperlichen Schranken setzen dir nunmehr kein Ziel/

Bis die Allmacht dich von neuem mit dem Leib verknüpfen will.

Füllt jetz nicht dein Bruderherz der begrifnen Bilder Menge/

Ist dir in der Regungen überhäufeten Gedränge

Der verlaßnen Welten Klumpen kein unendlich kleines Stück;

O so denke unterweilen an die Weinenden zurück.

An die höchst erschrockne Zahl der verwayßten Anverwandten/

Die bey deinem Lebewohl aller Wünsche Weirauch brannten.

Du lebst stets in unsern Reden/ mein Geist zieht es stets empor/

Als ich dich/ und du/ mein Bruder! sich dein Geist in sich verlohr,

Meiner Hofnung Phantasie ist stets sinnreich mich zu quälen/

Zärtlich schmeichelnd will sie mir Bruder! deinen Tod verhelen;

Aber wenn die ernste Sehnsucht voller Unruh dahin sieht

Wo du pflegtest krank zu sitzen/ schweigt sie seufzend/ weint und flieht.

Dann so quält ein stummer Harm mein Gemüthe unabläslich/

Schmerz und Liebe machen mir seine Bildung unvergeslich:

Schenkt mir Musen Orpheus Leyer/ säng ich ihn wohl wieder her/

Jetzo schließt die arme Zeile: Ach mein Bruder ist nicht mehr!

 

Horat.

Prudens futuri temporis exitum

Caliginosa nocte premit Deus

Ridetque si mortalis ultra

Fas trepidat.