In der
Geschichte des deutschen Reichs setzt man insgemein mit Carl dem Großen oder
Ludewig dem Deutschen ein, und holet dabey die vorhergegangene Verfassung
summarisch auf; oder man fängt mit dem Ursprung der Nation an, und indem man
deren ihre Schicksale erzählt, webet man die Geschichte des von ihr gestifteten
Reichs mit in. Beyde Methoden haben unstreitig ihren Werth, und fast möchte ich
sagen, daß sie für den Anfänger, der durchaus ein richtiges und lebhaftes
Gefühl der Zeitordnung haben muß, worin die Begebenheiten vorgefallen sind, die
besten sind. Allein der Kenner, der nun einmal Zeichnung und Ordnung versteht,
und endlich ein wohl ausgeführtes Ganze zu sehen wünschet, findet dabey sein
Vergnügen nicht; und der Hofmann, der immer erst einen langen gothischen
Klostergang durchwandern soll, ehe er in das Cabinet des Prälaten kömmt,
verliert oft unterwegens seine beste Laune; dabey wird sich der arme
Geschichtschreiber, wenn er anders ein Mann von Geschmack und Gefühl ist, nie
genug thun können; die Gallerie ist zu lang, und wenn er auch die beste Wahl
unter den Begebenheiten trift, die er darin schildert: so wird sie ihm doch nie
als ein großes Ganze gerathen. In der Epopee hat man daher längst einen andern
Weg genommen, und der Einheit oder einem vollständigen Ganzen zu gefallen, mit
dem Helden desselben angefangen, sodann aber das vorhergegangene auf eine
geschickte Art eingeflochten.
Den Vortheil dieser Methode brauche
ich Kennern nicht zu sagen; jeder von ihnen hat ihn längst gekannt und gefühlt,
und Robertson hat ihn in allen Geschichten die er uns geliefert hat, gebraucht.
So gar Mallet fieng die Braunschweigsche Geschichte mit Henrich dem Löwen an,
und holte den Ursprung der Guelfen nach. Allein in der allgemeinen deutschen
Geschichte hat noch keiner, so viel ich weiß, eine so glückliche Epoche zu
wählen und zu nutzen gesucht.
Gleichwohl liegt es einem jeden klar
vor Augen, daß sich mit dem Landfrieden von 1495 ein ganz neues Reich
angefangen, und das alte, man mag es nun mit Carl dem Großen oder Ludewig dem
Deutschen oder auch noch später anfangen lassen, völlig aufgelöset habe. Der
wahre Publicist, wenn er die Rechte des Kaysers und der Reichsstände bestimmen
will, geht nicht über jenen Landfrieden hinaus, und der Staatsmann benutzt die voraufgehenden
Begebenheiten höchstens in der Maaße, wie Montesquieu die alten Gesetze, und
Winkelmann die halbverwitterten Bruchstücke der Kunst benutzet haben;
mehrentheils nur zur Philosophie der Geschichte.
Meiner
Meinung nach müßte eine Geschichte unsers heutigen deutschen Reichs mit dieser
großen und glücklichen Conföderation, welche unter dem Namen des
Maximilianischen Landfriedens bekannt ist, anfangen, und dabey der Anfang und
der Fortgang, so wie die gänzliche Zertrümmerung des ältern Reichs, in eine
einzige Handlung, in eine einzige Darstellung verwandelt werden. Aus der
letztern ließe der Geschichtschreiber erst die Nothwendigkeit dieser neuen
Vereinigung hervorgehen, zeigte dann ihre Formel, und brächte nun alles übrige,
was seit dem vorgefallen ist, als Verbesserungen und Verschlimmerungen des
neuen Systems bey.
Das
alte Reich endigte sich mit Provincial-Landfrieden und Verbindungen, welche
zuletzt so viel kleine von einander unabhängige Staaten hervorgebracht haben
würden, als dergleichen Bündnisse vorhanden waren; oder diese hätten mit
offenbarer Gewalt der Waffen zertrennet und überwunden werden müssen. Zu dem
neuen hingegen conföderiren sich erst einige Fürsten und Stände, diese laden
andre zu sich, bis sie zuletzt sich alle zu einem gemeinsamen Zwecke verbinden,
ein gemeinschaftliches Reichsgerichte zur Handhabung der Bundesrechte
errichten, demselben eine Gerichtsordnung vorschreiben, die Mittel zur
Execution gegen die Friedebrecher anweisen, und den Kayser als ihren Hauptherrn
verbinden, dafür zu sorgen, daß alles, worüber die Conföderirten sich
solchergestalt mit seiner Bewilligung verstanden und vereiniget haben, auf das
genaueste ins Werk gesetzt, und darin erhalten werde. So wie dieses mit vieler
Mühe befestiget und die Conföderationsformel zur neuen Reichsformel gemacht
ist, verbessert sich auch der innere Zustand des Reichs, besonders in seinen
Policey- und Vertheidigungsanstalten augenscheinlich; jede Landesobrigkeit hat
unter dem Schutz der Landfriedensgerichte Ruhe und Zeit, auch gute
Einrichtungen in ihrem Theile zu machen; alle nun vorfallende Reichshandlungen
gehn immer auf den Zweck der Conföderation, sich mit vereinten Kräften jedem
auswärtigen Angriffe und jeder innerlichen Zerrüttung zu widersetzen. Man
schreibt den Kaysern durch Capitulation vor, was sie als oberste
Landfriederichter zu thun und nicht zu thun haben; wie dieses noch alles nicht
vollkommen zum Zwecke der Conföderation würken will, entsteht zur bessern
Correspondenz und Controle unter den Verbundenen, ein beständiger Reichstag –
Mit einem Worte, die ganze deutsche Geschichte von der Zeit des
Maximilianischen Landfriedens an bis auf die gegenwärtige Stunde, verwandelt
sich in eine einzige Darstellung, in die Vervollkommerung der damit zum
Grundgesetze des neuen Reichs gemeinschaftlich angenommenen Formel; und der
Geschichtschreiber der von hier ausgienge, würde dadurch alle Vortheile
gewinnen, die der Epopeendichter so früh genutzt hat; der Leser aber, der sein
jetziges deutsches Vaterland kennen will, so gleich auf die rechte Bahn
gerathen und darauf mit Vergnügen wandeln.
So lange wir aber den Plan unsrer
Geschichte auf diese oder eine andre Art nicht zur Einheit erheben, wird
dieselbe immer einer Schlange gleichen, die in hundert Stücke zerpeitscht,
jeden Theil ihres Körpers der durch ein bisgen Haut mit dem andern zusammen
hängt, mit sich fortschleppt; und der Hauptfaden eines Pütters, so fest und
schön wie er auch gedreht ist, wird dem Geschichtschreiber nicht zum Seile
dienen können, um sich in der Höhe zu halten. Er wird immer wechselweise
steigen und fallen, und oft seine Verbindungen und Uebergänge so kümmerlich
suchen müssen, daß auch das Colorit eines Schmids in seiner Geschichte der
Deutschen nicht hinreicht, um diese Flickerey dem Auge zu entziehen; oder wir
müssen, wie unser Landesmann Hegewisch in seiner Geschichte Carl des Großen und
Ludewig des Frommen gethan hat, aus der Lebensgeschichte eines jeden Kaysers
eine besondre Epopee machen, welches aber nie zu einer vollständigen
Reichshistorie, die einzig und allein in der Naturgeschichte seiner Vereinigung
bestehn kann, führen wird. Wir werden dann nur einzelne schöne Gemählde aber
keine in Eins zusammenstimmende Gallerie erhalten; und der größte Mahler kann
mit den also gestelleten Gegenständen, so viel ich von der historischen Kunst
verstehe, niemals Ehre einlegen.