Justus Möser

Darf ein Handwerksmeister so viele Gesellen halten als er will?

 

 

Es ist wohl nicht zu leugnen, daß die Frage:

Ob einem jeden Handwerksmeister die Freyheit zu lassen sey, so viele Gesellen als er wolle, zu halten?

von größerer Wichtigkeit sey, als man vielleicht bey Abfassung des Reichs-Abschiedes von 1731. dafür gehalten hat.

Die Gründe, worauf es bey ihrer Beurtheilung ankommt, sind eben dieselben, welche in den neuern Zeiten für und wider die großen Pachtungen angeführet werden; der Meister der vierzig Gesellen hält, ist der Pächter der vierzig Knechte hält; statt der großen Pachtungen könnten zwanzig Bauerhöfe, und statt des einzigen Amtsmeisters zwanzig Familien leben.

Unsre Vorfahren in den Städten, welche zu Walle gehen und selbige vertheidigen mußten, erhielten an jedem neuen Bürger, einen neuen Vertheidiger, der mit ihnen die Lasten theilte. Was hätten sie anfangen wollen, wenn es in dem Vermögen eines verschmitzten Meisters gestanden hätte, mit Hülfe einer Menge von Gesellen die Arbeit der ganzen Stadt an sich zu ziehen, und alle seine Mitmeister herunter zu bringen? Niemand wird leugnen, daß ein Mann mit zehn Gesellen wohlfeiler arbeiten könne, als zehn Meister mit einem. Es wäre also einem geschickten und vermögenden Handwerker gar leicht gewesen, allen übrigen Mitmeistern das Brod zu nehmen; und dieses wollten sie dadurch verhüten, daß sie für jedes Amt die Zahl der Gesellen bestimmten.

Unstreitig ist auch noch jezt dem Staate mehr an zwo Familien als zween Gesellen gelegen. Der Geselle zieht dem Staate keine Kinder, trägt keine Einquartierung, bezahlt wenig Schatzung, und fleugt bey dem geringsten Ungewitter über die Mauer. Daher muß der Reichs-Abschied billig nach jedes Orts Umständen ermäßiget, und der Landes-Obrigkeit die Freyheit gelassen werden, es wegen der Anzahl der Gesellen so zu halten, wie es das gemeine Beste erfordert. In Hauptstädten, Seehäven und überhaupt an allen Orten, wo für auswärtige Märkte gearbeitet wird, ist es Thorheit die Anzahl der Gesellen einzuschränken. Wo aber der Meister ein Taglöhner ist, und ein Taglöhner nur den andern in Pacht hat, ist die geringste Anzahl von Gesellen gewiß die beste.