Justus Möser

Die Politick der Freundschaft

 

 

Zu ihr hin will ich gehen; ihr sagen, daß sie die niederträchtigste Creatur von der Welt sey; daß sie das edelste und zärtlichste Vertrauen gemißbraucht, und mich auf eine recht schändliche Art hintergangen habe. Ja dies will ich thun; diese Genugthuung will ich haben. Ich will sie in ihren eignen Augen erniedrigen, ihr den verrätherischen Brief vorlegen, und sie dann ihrer Schaam und den Bissen ihres Gewissens überlassen …..

Und wenn Sie das denn nun gethan haben Madame?

So bin ich gerochen.

Gerochen? und wodurch? Dadurch, daß sie ihre ganze Schwäche zeigen? Das ist in der That eine sonderbare Rache. O meine liebe Ißmene; sollten sie mich je beleidigen; so glauben Sie nicht, daß ich es Ihnen so leicht machen werde mich zu vergessen und sich zu beruhigen.

Also sollte ich es mir wohl gar nicht einmal merken lassen, Arist, daß ich so schändlich hintergangen bin?

Nein, Ißmene. Ihr Eyfer mag noch so gerecht; das Ihnen wiederfahrne Unrecht mag noch so klar seyn: so muß es der letzte Schritt unter allen seyn, seinem Freunde wissen zu lassen, daß man von seiner uns zugefügten Beleidigung unterrichtet sey. Nie kann dieser uns hernach wieder unter die Augen treten, ohne sich zu schämen: und wer sich vor uns zu schämen hat, der flieht uns erst, haßt uns leicht, und verfolgt uns zuletzt, um sich eines beschwerlichen Zeugens seiner Unwürdigkeit zu entledigen.

Aber wenn mir nun der Haß und die größte Freindschaft einer solchen Person als diejenige ist, worüber ich mich beklage, angenehmer wäre als alle die Freundschaft, welche sie mir ehedem gezeigt hat?

Das ist nicht möglich. Eine Person, welche Sie einmal werthgeschätzt haben, kann nicht ohne alle Verdienste seyn. Sie muß werth seyn gebessert und wiedergewonnen zu werden; und das können Sie nie hoffen, wenn Sie ihr einmal gerechte Vorwürfe gemacht haben. Falsche Vorwürfe treffen flach; aber wahre fassen tief, und man vergißt sie um so viel weniger, je mehr man sie verdient hat. Sie benehmen dem Schuldigen seinen Werth; und diejenige redliche Zuversicht, welche doch zum wahren Vertrauen und zu einer aufrichtigen Freundschaft unentbehrlich ist. Erinnern Sie sich nur einmal ihrer Geschichte mit Cephisen. Diese ihnen jetzt so werthe Freundin hatte Ihnen fälschlich ein Verbrechen Schuld gegeben, welches man niemals erweiset, und allezeit ohne Beweis glaubt. Sie hörten es und beruhigten sich damit, daß es aus Eyfersucht geschehen seyn könnte. Sie veränderten nichts in ihrem Betragen gegen sie. Sie bezeugten ihr immer das zärtliche Vertrauen; die nemliche Achtung und eben die Gefälligkeiten, welche Sie allezeit gegen sie gehabt hatten. Keine Zurückhaltung, kein Ernst im Blicke verrieth die mindeste Empfindlichkeit. Kaum waren einige Wochen verflossen; so gereuete Cephisen ihre Verläumdung. Sie ward unruhig, und das Bekenntniß ihres Verbrechens schwebte ihr hundertmal auf der Zunge, ohne daß sie es wagen mochte um Verzeihung zu bitten. Von der edelsten Reue gerührt, kam sie endlich in Gesellschaft derjenigen Personen, gegen welche sie mit der falschen Beschuldigung herausgegangen war, zu ihnen, und that Ihnen unter tausend Thränen gleichsam eine öffentliche Erklärung. Damals gestanden Sie mir, Ißmene, daß Sie sich keinen Begriff von einer edlern Genugthuung machen könnten, als diese gewesen wäre. Ihre Zärtlichkeit für Cephisen verdoppelte sich, und dasjenige was unter andern die größte Freindschaft veranlasset haben würde, ist der Grund einer der dauerhaftesten Freundschaft geworden. Würde aber der Erfolg eben so angenehm gewesen seyn, wenn sie ihre Freundin gleich zur Rede gestellet; derselben ihre Verläumdung vorgeworfen, und sie damit auf ewig ihrer Schande überlassen hätten? Würde die Reue Cephisens jemals zugereicht haben, eine völlige Versöhnung unter ihnen herzustellen? Und war nicht gleichsam ihr heroischer und freywilliger Entschluß nöthig, um ihr ein Vertrauen zu sich selbst, und mit diesem die Würde wieder zu geben, sich als eine Freundin in ihre Arme werfen zu können?

Es ist wahr, Arist, ich fühle die Wahrheit dessen was sie sagen: und bin nun zu groß um in Vorwürfe auszubrechen.

Glauben Sie nur, liebenswürdigste Freundin, der Unschuldige verzeihet leicht. Aber der Schuldige kann nie wieder ein Herz zu uns gewinnen, wofern wir ihm nicht helfen sich vor dem Richterstuhl seines eignen Gewissens zu rechtfertigen, und erst wiederum ein Vertrauen zu sich selbst zu gewinnen. Die Gelegenheit dazu können wir ihm nicht besser unterlegen, als wenn wir ihn zuerst in der guten Meinung lassen, daß wir sein Verbrechen nicht wissen. Hierdurch wird er allmählich sicher; bemüht sich erst etwas wieder gut zu machen, wird immer eifriger, und zuletzt, nachdem er uns viele neue Beweise von seiner Redlichkeit gegeben, wagt er es, Verzeihung für das vergangene zu erwarten und zu bitten. Ehender kann er es nicht thun, ohne sich in seinen eignen Gedanken zu erniedrigen. Es fehlt ihm auch die Gelegenheit zu jener Rechtfertigung, wofern wir ihn gleich durch verdiente Vorwürfe beschämen und entfernen.

Dies wird aber doch wohl nur die Pflicht gegen solche schuldige Freunde seyn, die würklich Verdienste haben?

Freylich; aber selten ist ein Mensch ohne einige Verdiensten; und man kann auch oft einen Bösewicht auf kurze Zeit oder in einzelnen Geschäften ehrlich machen, wenn man ihn für ehrlich hält, und Vertrauen auf ihn setzt. Es gereicht der Tugend zur Ehre, daß auch der böseste Mensch denjenigen ungern hintergehet, der ihm für einen rechtschaffenen Mann hält. Glauben Sie, Ismene, daß ich nicht bisweilen in die Versuchung gerathen würde, Ihnen ungetreu zu werden, wenn ich versichert wäre, daß Sie ein Mißtrauen in mich setzten?

O schweigen Sie, Arist; oder ihre Gründe fangen an bey mir allen ihren Werth zu verlieren.