Karlchen oder Die Tücken der Tugend
 
 

Textauszug

„[...] Das müssen Sie sich merken, und Sie dürfen es nicht vergessen, Karlchen: die Menschen sind verschieden, und mit den gleichen Mitteln müssen sie Verschiedenes leisten in der Welt. Sie zum Beispiel könnten leichter leben, wenn Sie begreifen lernten, daß andere Menschen anders funktionieren als Sie. Wenn die kleinen, krabbeligen Kreaturen, die wir Kinder nennen, anfangen, Menschen zu werden, dann sind sie alle Ausnahmen. Später aber kommt das Leben und schleift sie ab. Den Rest besorgen sie selbst, indem sie merken, daß es leichter ist, wenn sie sich anpassen. Am Ende ist da der fertige Normalmensch.“
„Aber ich...“
„Ich weiß, Karlchen. Bei Ihnen ist irgendetwas schiefgegangen. Sie haben es nie zum Normalmenschen gebracht. Das ist traurig; und wenn Sie nicht so verdammt ungebildet wären, dann hätten Sie da etwas, worauf Sie stolz sein und sich etwas einbilden könnten. Sie sind ganz einfach unterentwickelt.“
„Unterentwickelt?“
„Nicht körperlich, meine ich. Seelisch. Sie haben sich nie zum Normalmenschen entwickelt.“
„Kann ich das nicht nachholen? In Abendkursen? Oder bei Ihnen?“ fragte Karlchen. (S.133-134)
 
 
 
 

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