Kontext
Nach der Veröffentlichung von Der
Ausweg 1961 und der „zweiten Emigration“ in die Schweiz 1962 publizierte
Liepman Karlchen oder Die Tücken der Tugend 1964 – es sollte
sein letzter Roman sein. Wie schon bei Der Ausweg enthält der
Roman keine politischen Stellungnahmen. Liepman schreibt aus der Position
des Moralisten über eine Welt, in der die „Anpassung“ nur durch die
Lüge zu erreichen und die „einfache“ Wahrheit zum Scheitern verurteilt
ist. Die gesamte Gesellschaft ist von diesem Prinzip durchdrungen, von
Liebesbeziehungen bis zu Geschäftsverbindungen und der polizeilichen
Arbeit. Was für diese Bereiche gilt, gilt für die Politik besonders,
was Liepman an einer hypothetischen Szene deutlich macht: Einer der Freunde
Karlchens wäre in der Lage, ein persönliches Treffen zwischen
dem DDR-Staatsratsvorsitzenden Ulbricht und Bundeskanzler Erhard zu arrangieren,
doch scheint der Plan an der Realisierung eines geheimen Treffens zu scheitern.
Als Karlchen den Vorschlag macht, daß beide sich nicht der Verstellung,
sondern der Wahrheit bedienen und das Treffen öffentlich zugeben sollten,
wird er von seinen Freunden verstoßen, weil er die „Realität
unterminiere“.
Mit Ausnahme dieses politischen Exkurses ist der Roman jedoch weitgehend
nur der Versuch einer Satire auf die zeitgenössische Gesellschaft,
geprägt von einem tiefen Pessimismus des Autors. In einem kurzen Beitrag
für den Tagesspiegel
bemerkte Liepman 1964: „Warum ich das Buch geschrieben habe? / Weil ich
Karlchen so gut kenne, und weil ich seit 5 Jahren so oft an ihn denken
mußte. / Besuchszeit ist jeden ersten Dienstag im Monat, von 2 bis
4 Uhr nachmittags.“